Durchsuchung in der Justizvollzugsanstalt unzulässig: Das Bundesverfassungsgericht gibt Strafgefangenen Recht.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 19. Mai 2023 einen Beschluss gefasst, welcher die Rechtmäßigkeit einer körperlichen Durchsuchung eines Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt in Bayern betrifft. Unter dem Aktenzeichen „2 BvR 78/22“ hat dieser Fall das Potenzial, die Art und Weise, wie Durchsuchungen in deutschen Gefängnissen durchgeführt werden, zu beeinflussen.

Der Fall begann mit einer einfachen Durchsuchung, entwickelte sich jedoch zu einer komplexen rechtlichen Auseinandersetzung, die mehrere Gerichtsinstanzen durchlief, bevor sie vom Bundesverfassungsgericht entschieden wurde. Die Entscheidung berührt wichtige Aspekte des Strafrechts, des Verfassungsrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Es handelt sich um einen Fall, der nicht nur für Juristen von Interesse ist, sondern auch für diejenigen, die sich für die Wahrung von Rechte und Freiheiten einsetzen.

Von der Durchsuchung zum Bundesverfassungsgericht:

Der Fall

Ein Strafgefangener verbüßt seit 2009 eine lebenslange Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) in Bayern. Im März 2019 erhielt er Besuch von seiner Familie in der JVA. Nach dem Besuch aber vor der Rückkehr in seine Zelle wurde er auf Anordnung von Angestellten der JVA körperlich durchsucht. Hierzu musste er sich vollständig entkleiden. Einen Grund für die Durchsuchung war nicht gegeben bzw. wurde ihm nicht genannt. Die Durchsuchung umfasste die Achselhöhlen, den Mund, die Fußsohlen und den Intimbereich.

Der Rechtsweg

Genervt von dieser Praxis beantragte der Strafgefangene daraufhin, gerichtlich feststellen zu lassen, dass diese Durchsuchung rechtswidrig war. Sowohl das Landgericht (LG) Regensburg als auch das Bayerische Oberste Landesgericht lehnten seinen Antrag jedoch ab. Daraufhin zog der Mann ein erstes Mal vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – mit Erfolg. Das BVerfG stellte in dieser ersten Entscheidung bereits fest, dass die angegriffenen Entscheidungen den Gefangenen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzten (Beschl. v. 23.09.2020, Aktenzeichen: 2 BvR 1810/19). Die Durchsuchung sei ein schwerer Eingriff in die Rechte des Gefangenen, zumal die Bediensteten, die die Durchsuchung angeordnet haben, hierfür nicht ausreichend ausgebildet seien.

Als Entschädigung für die Grundrechtsverletzung verlangte der Gefangene daraufhin vom Freistaat Bayern eine Zahlung in Höhe von 500 Euro. Das LG Regensburg versagte dem Strafgefangenen allerdings diese Entschädigung. Begründung: Die Durchsuchungen seien zwar rechtswidrig gewesen, eine schuldhafte Amtspflichtverletzung sei vom Beschwerdeführer aber nicht nachgewiesen worden, weshalb keine Amtshaftung vorliege.

Hiergegen wandte sich der Insasse abermals mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG und war erneut erfolgreich.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Das BverfG hat nun festgestellt, dass die anlasslose Durchsuchung des Gefangenen sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzte. Dieses Recht, verankert in Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes, steht im Zentrum des deutschen Verfassungsrechts.

Rechtswidrigkeit der Durchsuchung

Die anlasslose Durchsuchung unter völliger Entkleidung stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, insbesondere deshalb, weil diese Durchsuchung mit einer Inspizierung von verdeckten Körperöffnungen verbunden war, für die es keinen Anlass gab.

Das BverfG sagt wörtlich:

Wegen des besonderen Gewichts von Eingriffen, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, hat der Betroffene Anspruch auf besondere Rücksichtnahme.

„Offensichtlich begründet“

Der Senat des BVerfG erklärte die Verfassungsbeschwerde für „offensichtlich begründet“. Diese Formulierung unterstreicht die Klarheit der Rechtsverletzung und die Notwendigkeit einer sofortigen Korrektur. Die Versagung eines Entschädigungsanspruchs wurde ebenfalls als Verletzung des Schutzbereichs dieses Grundrechts betrachtet, was die Bedeutung der Entschädigung in Fällen von Grundrechtsverletzungen hervorhebt.

Aufhebung und Zurückverweisung

Das Gericht hob das Urteil des Landgerichts Regensburg auf, das dem Gefangenen keinen Ersatzanspruch zusprechen wollte, und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück.

Fazit

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Fall „2 BvR 78/22“ ist mehr als nur ein weiterer Eintrag in die juristischen Akten. Es berührt den Kern dessen, was Recht und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft ausmachen.

Das besonders ärgerliche an der Angelegenheit ist, dass bereits der europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Vergangenheit mehrfach Entschädigungsansprüche nach körperlichen Durchsuchungen von Strafgefangenen zugesprochen hat. Offensichtlich meinte die bayerische Justiz erneut, sich über rechtsstaatliche Grundsätze und höchstrichterliche Rechtsprechung einfach hinwegsetzen zu können. Dieser Hybris der bayerischen Justiz ist das Bundesverfassungsgericht nunmehr deutlich entgegengetreten.

Der Fall zeigt auch, dass scheinbar einfache Strafgefangene, die allgemein für rechtlos erachtet werden, rechtliche Maßstäbe setzen können, auch wenn sie sich gegen scheinbar legale jahrelange Praktiken der Gefängnisverwaltung zur Wehr setzen.

Haben Sie Fragen zu Ihren Rechten oder benötigen Sie Unterstützung in einer rechtlichen Angelegenheit? Unser Büro steht bereit, um Ihnen zu helfen.

Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Bei spezifischen Fragen oder Anliegen sollten Sie sich an einen qualifizierten Rechtsanwalt wenden.

Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 2 BvR 78/22, vom 19.05.2023, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.